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08.12.2017 // Recht + Betriebspraxis

BEM bei krankheitsbedingter Versetzung?

Ist bei einer Versetzung aus krankheitsbedingten Gründen die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) erforderlich?

Sachverhalt

Der Kläger ist bei der Beklagten als Maschinenbediener tätig. Seit 1994 war er zunächst in der Wechselschicht (Frühschicht/Spätschicht), ab 2005 fast ausschließlich in der Nachtschicht eingesetzt. In den Jahren 2013 und 2014 war der Kläger jeweils an 35 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. In der Zeit vom 02. Dezember 2014 bis 26. Februar 2015 war er aufgrund einer suchtbedingten Therapiemaßnahme arbeitsunfähig, danach wurde er wieder in der Nachtschicht eingesetzt. Hiernach fand ein Krankenrückkehrgespräch außerhalb des Rahmens eines BEM statt. Nach diesem Gespräch ordnete die Beklagte an, dass der Kläger seine Arbeit zukünftig in Wechselschicht zu erbringen habe. Arbeitsvertraglich war eine Umsetzung in die Wechselschicht zulässig. Der Kläger meinte aber, die Anordnung wäre bereits deshalb unwirksam, weil die Beklagte vor der Maßnahme kein BEM durchgeführt hatte. Die Beklagte meinte hingegen, eine Dauernachtschicht sei generell gesundheitlich belastender als jede andere Arbeitszeit, weshalb sie mit der Versetzung prüfen dürfte, ob sich die gesundheitliche Situation des Klägers bei einem Einsatz in der Wechselschicht verbessere. Außerdem wäre der Kläger bei Fehlzeiten in der Wechselschicht leichter ersetzbar als in der Nachtschicht.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg

Das LAG Baden-Württemberg hatte in seiner Entscheidung vom 22. November 2016 – Aktenzeichen 15 Sa 76/15 – die Auffassung vertreten, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Ausübung ihres Direktionsrechts kein als berechtigtes Interesse anzuerkennendes Interesse an der Umsetzung des Klägers in die Wechselschicht gehabt hätte. Sie hatte sich insoweit ausschließlich auf ihre Erwartung berufen, die Maßnahme der Umsetzung würde sich positiv auf den Gesundheitszustand und die Arbeitsfähigkeit des Klägers auswirken. Eine an eine solche Erwartung geknüpfte Maßnahme hätte sie aber zu diesem Zeitpunkt deshalb nicht umsetzen dürfen, weil sie ein solches Interesse gegenüber dem Kläger nicht ohne vorheriges ordnungsgemäßes BEM oder das Angebot eines solchen ins Feld führen durfte. Die Rechtsordnung – so das Gericht – überlasse dem Arbeitgeber nicht durchgehend die freie Entscheidung, wie er seiner Fürsorgepflicht gegenüber dem Arbeitnehmer im gesundheitlichen Bereich nachkomme. Das angegebene betriebliche Interesse der Beklagten, mit der Maßnahme herauszufinden, ob sich der Gesundheitszustand des Beklagten bessere, entspreche exakt der Zielsetzung eines BEM, sodass – im Rahmen der dem Direktionsrecht innewohnenden Interessensabwägung – zunächst erst ein BEM als gesetzlich vorgeschriebene Maßnahme durchzuführen sei.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das BAG sah dies aber anders. In seiner Entscheidung vom 18. Oktober 2017 – Aktenzeichen 10 AZR 47/17 – hielt es fest, dass die Durchführung eines BEM keine formelle Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Versetzung sei und zwar auch dann, wenn die Anordnung des Arbeitgebers (auch) auf Gründe gestützt werde, die im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers stehen.

Maßgeblich sei vielmehr, ob die Weisung des Arbeitgebers insgesamt billigem Ermessen entspreche. Dabei seien alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Mangels hinreichender Feststellungen des LAG zu diesen Umständen habe das BAG nicht abschließend entscheiden können. Daher wurde die Sache an das LAG zurückverwiesen.

Fazit

Die einseitige Leistungsbestimmung entspricht dann billigem Ermessen i.S.v. § 106 S. 1 GewO, § 315 Abs. 1 BGB, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind und zwar im Zeitpunkt der Ausübung des Direktionsrechtes. Insofern stellt sich die Frage, ob dieses Ermessen unter angemessener Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen die Durchführung eines BEM erfordert.

Gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX ist das BEM durchzuführen, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, um mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten abzuklären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Das BAG lässt wegen dieser Regelung krankheitsbedingte Kündigungen, die ohne Durchführung eines BEM ausgesprochen werden, bereits aufgrund dieses Umstands wegen einer damit nicht hinreichend vorgenommenen Interessensabwägung in der Regel als rechtswidrig scheitern.

Auch im Rahmen krankheitsbedingter Kündigungen – wie nun im Rahmen der streitgegenständlichen Versetzung – betont das Bundesarbeitsgericht, dass die Nichtdurchführung eines BEM keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung sei. Allerdings sei § 84 Abs. 2 SGB IX auch kein bloßer Programmsatz.

Dennoch muss nach Auffassung des BAG vor einer zumindest auch krankheitsbedingten Versetzung – im Gegensatz zu einer krankheitsbedingten Kündigung – nicht zuvor ein BEM durchgeführt worden sein, damit eine Versetzung rechtswirksam ist. Gleichwohl muss im Prozess die Ermessensentscheidung unter Abwägung aller beiderseitigen Interessen vom Arbeitgeber entsprechend dargelegt werden.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass der Arbeitgeber gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX ohnehin verpflichtet ist, unter den o.g. Voraussetzungen dem betroffenen Arbeitnehmer ein BEM anzubieten. Insofern ist die Durchführung eines BEM in Konstellationen wie in diesem Fall vor Ausspruch der Versetzung dringend zu empfehlen. Formulare hierzu finden Sie in unserem Mitgliederbereich.

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