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Andreas Merkel und Betriebsleiter Oliver Kächler im Herzstück des Familienunternehmens: der Spinnerei (v.l.n.r.).
©Gebr. Otto
16.02.2021 // Kommunikation + Event

Den Zeitgeist verspinnen

120 Jahre Otto Garne: Technische Innovationskraft gepaart mit Tüftlergeist. Wenn ein Unternehmen ein so beachtliches Jubiläum feiert, schaut man gerne zurück. Im Interview mit Südwesttextil blickt Geschäftsführer Andreas Merkel jedoch am liebsten nach vorne.

Die ersten Erinnerungen an das Unternehmen stammen noch aus seiner frühen Kindheit, das Textile lag ihm schon immer im Blut. Während er als Kind noch zwischen den Baumwollballen spielte, ist Andreas Merkel bereits seit 1998 bei der Firma Gebr. Otto und seit 2003 Geschäftsführer in der vierten Generation.

Das Familienunternehmen beschäftigt 160 Mitarbeitende an den Standorten Dietenheim und Unterbalzheim und spinnt nach wie vor über 50 Prozent der Garne in Deutschland. Alle weiteren Produkte werden mit langjährigen Partnern produziert, denn wo Otto Garne draufsteht, müsse auch Otto Garne drin stecken – dies gilt nicht nur für den hohen Qualitätsstandard des Unternehmens, sondern vor allem auch für soziale und ökologische Kriterien der Nachhaltigkeit.

Dieses nachhaltige Denken liegt einfach in der Firmen-DNA. „Schon vor 25 Jahren haben sich Effizienzberatungen an uns die Zähne ausgebissen, weil wir schon immer ressourcensparend und damit nachhaltig gearbeitet haben. Auch der familiäre Umgang mit unseren Mitarbeitenden, die oft schon in der zweiten oder dritten Generation bei uns arbeiten und zusammenhalten, wenn es darauf ankommt, ist für uns selbstverständlich“, erzählt Andreas Merkel stolz.

Als erste Spinnerei Deutschlands wurde Otto Garne unter anderem mit dem Fairtrade Betriebs- und Produktzertifikat, dem OEKO-TEX® Standard 100 und dem ISO 9001 Qualitätsmanagementsystem zertifiziert und weist darüber hinaus Labels wie IVN Best, GOTS sowie den Global Recycling Standard vor. Das Engagement des Unternehmens wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit einer Anerkennung beim Umweltpreis Baden-Württemberg 2010.  

Wir sind schon Spinner im wahrsten Sinne des Wortes und spinnen in alle Richtungen, aber man muss auch immer abwägen.
Andreas Merkel, Geschäftsführer Gebr. Otto

Zukunft seit 1901: Im schönen Oberschwaben werden seit jeher Garne – und Visionen – gesponnen. Und so präsentierte das Unternehmen im Corona-Jahr eine neue Marke, die die nachhaltige DNA des Unternehmens und die langjährige Tradition der Produktion am Standort unterstreicht: „Cotton since 1901 – Made in Germany“.Das Konzept trifft den Zeitgeist mit einer emotionalen Bildsprache. Dieses lag aber schon lange wohlüberlegt und gereift in der Schublade des Geschäftsführers, denn die Idee mit einer Marke die Regionalität von Textilien zu unterstreichen, kam Andreas Merkel bereits 2008 – doch die Kundschaft war noch nicht bereit, diesen Weg mitzugehen.

Die Akzeptanz kam erst zehn Jahre später – bei einem Kundenbesuch des europaweit agierenden Multichannel-Unternehmens Peter Hahn mit Sitz im schwäbischen Winterbach bei Stuttgart. Hier wurden Nachhaltigkeitskonzepte vorgestellt und diskutiert, denn Themen wie die Nachvollziehbarkeit der Lieferkette, Einkaufsverbünde und Transparenz auf dem Markt rückten immer mehr in den Fokus. Die Zeit war reif für ein „regionales“ Baumwollgarn, dessen Ursprung lückenlos bis zum Baumwollfeld nachzuverfolgen ist. Und das natürlich in Premiumqualität, denn die Cotton since 1901-Baumwolle vereint nur das Beste: jahrzehntelang gewachsene Beziehungen zu Lieferanten, feinste Naturfasern – handverlesen – aus sicherer Herkunft und umweltverträglich angebaut.

Genauso hochwertig wie der Rohstoff ist der Verarbeitungsprozess. Die nachhaltige Produktion wird von unabhängigen Institutionen und externen Labors streng kontrolliert. Aus dem Zusammenspiel von bester Baumwolle, Hightech-Spinnen und umweltfreundlichem Färben entsteht im Ländle die Basis für Wohlfühltextilien.

Um auch dem Endkunden diesen Ursprung erlebbar zu machen, bekommen die Kunden von Otto Garne auch ein Hangtag mitgeliefert, das die Geschichte der Baumwolle erzählt und mit dem sie ihre konfektionierten Produkte auszeichnen können. Doch der Clou: mit dabei ist ein Tütchen mit Samen für Topfbaumwolle und eine digitale Pflanzanleitung. Eine ungewöhnliche Idee, die spätestens dann eine emotionale Bindung schafft, wenn der Samen aufgeht und die ersten gelblichen Blüten entstehen, die dann die Kapseln hervorbringen.

Dass der Samen für Gebr. Otto mit der Etablierung der Marke „Cotton since 1901“ auch aufgeht, liegt wohl an dem visionären Denken von Andreas Merkel. Ob es jetzt Glück oder Geschick war, das Garn kommt zur rechten „Textillieferketten-Zeit“. Doch das ist nicht das erste Mal ist, dass die Dietenheimer mit ihren Visionen und Ideen ihrer Zeit ein deutliches Stück voraus sind.
Dazu gibt es zahlreiche Beispiele in der Geschichte des Unternehmens. So entwickelte der Garnhersteller schon 2007 mit Blick auf die weltweite Ressourcenknappheit den recot²®-Prozess, bei dem 25 Prozent des Garns durch recycelte Baumwollfasern aus Prozessabgängen ersetzt werden. Das Produkt würde erst jetzt so richtig greifen und eigentlich hätte er es beinahe aus dem Programm genommen, lacht Andreas Merkel. Aber während nun alle nach Möglichkeiten suchen, ihre Stoffkreisläufe zu schließen, würde man dies eben in Dietenheim bereits seit fünfzehn Jahren machen.  

Dass diese starke Positionierung bei den Kunden gut angekommt, zeigen renommierte internationale Marken, die ihr Endprodukt mit dem „recot²®“-Label auszeichnen.
Basis für viele dieser Entwicklungen ist die hohe Technologieaffinität des Unternehmens, die ermöglicht, nach wie vor an einer sauberen und nachhaltigen Produktion in Deutschland festzuhalten. Ein weiterer Trumpf ist das Engineeringteam, das schon immer das Beste aus den Maschinen herausgeholt hat und das Unternehmen weit über die Produktion von Garnen hinaus führend macht. Ihm ist es zu verdanken, dass der Garnhersteller im Jahr 2004 als erstes Unternehmen die als nicht verspinnbar geltende Kapokfaser in einem Produkt umsetzte. Andreas Merkel lacht, wenn er an die ersten Versuche zurückdenkt, bei denen der ganze Raum voller Fasern war und berichtet stolz, wie sein Team in kürzester Zeit trotzdem die ersten Prototypen präsentieren konnte. Viele langjährige und loyale Mitarbeitende prägen diesen Tüftlergeist und sorgen für Staunen bei internationalen Kunden, die hohe Fluktuationen bei Beschäftigten gewöhnt sind. Die langjährige Zusammenarbeit sei eine wichtige Basis für ein hohes Qualitätsverständnis und die Liebe zum Produkt, so der Firmenchef.

 

Unternehmensgründer Carl Otto mit seiner Frau Emilie.

Um trotz des großen Preisdrucks aus dem Massenmarkt bestehen zu können, diversifiziert das Unternehmen seine Geschäftsbereiche und setzt seit einigen Jahren auch auf Neuentwicklungen im Bereich der technischen Textilien. Fünf Patentanmeldungen kann das Unternehmen vorweisen. Aktuell steht ein ökologisches Färbeverfahren mit besonders guter Performance in den Startlöchern. Auf der letzten Techtextil 2019 präsentierte Otto Garne Erzeugnisse der Spinnstrickmaschine, einer Innovation aus dem Textilmaschinenbau, die die beiden ursprünglich getrennten Verfahren kombiniert. Wie es sich gehört, wurde getüftelt und Komponenten ergänzt, so dass Gebr. Otto aus diesem Prozess erneut einen Mehrwert generierte. Durch die Verwendung eines Aramid-Vorgarns konnte Unterwäsche mit Schutzfunktion und hohem Tragekomfort hergestellt werden – viele weitere technische Anwendungen sind natürlich nicht ausgeschlossen.

„Wir sind Spinner im wahrsten Sinne des Wortes und spinnen in alle Richtungen, aber man muss immer abwägen“, beschreibt Andreas Merkel die Entwicklung der letzten Jahre. Bei anspruchsvollen Produkten sei Otto Garne stets zur Stelle – als ein wirtschaftlich stabiles Unternehmen in Europa hätte Gebr. Otto einfach auch die Luft und Kraft um neue Projekte anzugehen. Während die Kosten und die Rahmenbedingungen für eine Produktion in Deutschland sicherlich eine Herausforderung seien, gäbe es auch Vorteile, wie die Nähe zu Forschung und Entwicklung, die die Dietenheimer z. B. mit der Universität Ulm nutzen. Darüber hinaus sind sie spätestens seit der Pionierleistung bei der Verspinnung der Kapokfaser in der Branche ebenfalls als wichtiger Sparringpartner bekannt.

So lässt sich das Erfolgsrezept der Traditionsspinner sicherlich darauf zurückführen, dass sich das Unternehmen in keiner der schweren Krisen der 120-jährigen Geschichte das Spinnen hat verbieten lassen. Der Zeit immer ein Stück voraus und trotzdem nachhaltig den Zeitgeist der Textilindustrie prägend, wünschen wir der gesamten „Otto Garne Familie“ auch in den nächsten 120 Jahren ein glückliches Händchen beim Tüfteln und Spinnen. 

Ansprechpartner*innen

Rebekka Rüth

Leiterin Kommunikation + Event und Nachhaltigkeit + Projekte

T +49 711 21050-16M +49 1590 4184842rueth@suedwesttextil.de

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