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21.01.2021 // Recht + Betriebspraxis

Homeoffice wird zur (vorübergehenden) Pflicht

In der Runde der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder am 19. Januar 2021 wurde auch beschlossen, die Kontakte im beruflichen Kontext weiter zu reduzieren. Das BMAS hat den Entwurf einer sog. Corona-Arbeitsschutzverordnung vorgelegt. Er enthält u. a. die Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer im Falle von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten, die Möglichkeit von „Homeoffice“ anzubieten.

Im Nachgang zur Runde der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder hat das BMAS den Entwurf einer Corona-Arbeitsschutzverordnung vorgelegt. Sie finden den Entwurf hier.

Dieser wurde bereits vom Kabinett gebilligt. Die Zustimmung des Bundesrates ist nach § 18 (3) Arbeitsschutzgesetz aufgrund der pandemischen Lage nicht notwendig.

Es ist geplant, dass der Verordnungsentwurf nach Unterzeichnung durch Bundesarbeitsminister Heil am Freitag offiziell veröffentlicht wird und fünf Tage nach Veröffentlichung in Kraft tritt – somit voraussichtlich am Mittwoch, den 27. Januar 2021.

In der Verordnung ist festgelegt, dass diese am 15. März 2021 wieder außer Kraft tritt.

In der Anlage an diese Nachricht finden Mitgliedsunternehmen von Südwesttextil exklusiv eine Zusammenfassung der neuen Arbeitsschutzverordnung zum Download.

Der Kabinettsentwurf enthält folgende Maßnahmen zum erweiterten Infektionsschutz in den Betrieben:

Maßnahmen zur Kontaktreduzierung (§ 2):

  • Die gleichzeitige Nutzung von Räumen durch mehrere Personen ist auf das betriebsnotwendige Minimum zu reduzieren. (§ 2 Abs. 3)
  • Betriebsbedingte Zusammenkünfte mehrerer Personen sind auf das betriebsnotwendige Minimum zu reduzieren und nach Möglichkeit durch die Verwendung von Informationstechnologie zu ersetzen. (§ 2 Abs. 4)
  • Homeoffice: Der Arbeitgeber hat den Beschäftigten im Falle von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese Tätigkeiten in deren Wohnung auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen. (§ 2 Abs. 4)
  • Regelungen zur Mindestfläche: Eine Mindestfläche von zehn Quadratmetern für jede im Raum befindliche Person darf nicht unterschritten werden, soweit die auszuführenden Tätigkeiten dies zulassen. Lassen die auszuführenden Tätigkeiten dies nicht zu, so hat der Arbeitgeber durch andere geeignete Maßnahmen (insb. Lüftungsmaßnahmen, Abtrennungen) einen gleichwertigen Schutz sicherzustellen. (§ 2 Abs. 5)
  • Festlegung von kleinen Arbeitsgruppen in Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten: Personenkontakte zwischen den einzelnen Arbeitsgruppen im Betriebsablauf sowie Änderungen dieser Einteilung sind auf das betriebsnotwendige Minimum zu reduzieren. Zeitversetztes Arbeiten ist zu ermöglichen, soweit die betrieblichen Gegebenheiten dies zulassen. (§ 2 Abs. 6)

Bereitstellung von Masken (§ 3) (medizinische Gesichtsmasken oder FFP2-Masken oder vergleichbare Atemschutzmasken) durch den Arbeitgeber, wenn

  • die Anforderungen an die Raumbelegung nach § 2 nicht eingehalten werden können,
  • wenn der Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten werden kann, oder
  • wenn bei ausgeführten Tätigkeiten mit Gefährdung durch erhöhten Aerosolausstoß zu rechnen ist (z. B. anstrengende Tätigkeiten oder Tätigkeiten, die lautes Sprechen erfordern).


Das BMAS hat hierzu eine FAQ-Liste zusammengestellt; dort ist auch dargestellt, was zwingende betriebsbedingte Gründe seien, die gegen Homeoffice sprechen und ob das Homeoffice überhaupt gegen den Willen des Arbeitnehmers eingeführt werden kann. Sie finden diese hier.

Der Entwurf wird von der Wirtschaft und Arbeitgeberverbänden massiv kritisiert.

Eine Corona-Arbeitsschutzverordnung ist kontraproduktiv. Im SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard sowie in der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel ist alles Erforderliche für einen wirksamen Schutz der Beschäftigten vor einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus geregelt. Beim SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard sowie der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel haben sich die Experten aus den verschiedenen Bereichen (BMAS, Länder, Unfallversicherungsträger, RKI, Sozialpartner) auf effektive und praktikable Regelungen verständigt. Diese Verständigung wird an einigen Stellen durch den jetzt vorgelegten Gesetzentwurf des BMAS aufgekündigt. Die Verordnung bedeutet für die Wirtschaft unnötige Verschärfungen im Infektionsschutz.

Allerdings konnte die BDA gegenüber einer am 19. Januar 2021 zirkulierenden Fassung des Entwurfs einige Verbesserungen erreichen. Insbesondere wurden die Einschränkungen zur Nutzung der Kantinen und Pausenräume sowie bürokratische Vorgaben zur regelmäßigen Testung von Beschäftigten auf SARS-CoV-2 durch die Betriebe gestrichen. Gestrichen wurde auch die Anforderung an Betriebe, ihre Maßnahmen an den 7-Tages-Inzidenzwert anzupassen, ebenso wie der Paragraf zu Ordnungswidrigkeiten im Sinne des § 25 Absatz 1 Nummer 1 des Arbeitsschutzgesetzes. Der Arbeitgeber hätte bspw. vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt, wenn er die Gefährdungsbeurteilung nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig aktualisiert und dokumentiert hätte oder den Beschäftigten die genannten Gesichtsmasken nicht zur Verfügung stellt.

Im Einzelnen:

  • § 2 Abs. 4 Homeoffice
    Zwar enthält die Verordnung keinen einseitigen Anspruch des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber, die Ausführung seiner Arbeit in seiner Wohnung zu gewähren. Allerdings wird eine öffentlich-rechtlich wirkende Pflicht darauf geschaffen, Arbeitnehmern mit „Bürotätigkeiten und vergleichbaren Arbeiten“ das Arbeiten in seiner Wohnung anzubieten. Diese Verpflichtung kann die zuständige Behörde mit Verwaltungszwang vom Arbeitgeber einfordern und ggf. eine Umsetzung im Wege einer einstweiligen Anordnung erzwingen. Der Arbeitnehmer ist demgegenüber nicht verpflichtet, das Angebot anzunehmen.

    Eine solche einseitige Verpflichtung des Arbeitgebers zum Angebot mobiler Arbeit, die ggf. durch Verwaltungszwang umzusetzen ist, kann tief in die betriebliche Gestaltung der Arbeitsabläufe eingreifen. Es kann nicht sein, dass der Arbeitgeber die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Arbeit zu Hause schaffen und das Arbeiten zu Hause anbieten muss und der Beschäftigte dann frei darin ist, ob er dieses Angebot annimmt. Eine externe Behörde ist nicht in der Lage abschließend zu beurteilen, welche Arbeit unter welchen Bedingungen vom heimischen Arbeitsplatz geleistet werden kann. Die Möglichkeit der Androhung von Verwaltungszwang konterkariert die vielfältigen Aufrufe der Sozialpartner zu einer einvernehmlichen Lösung. Sie ist vor allem auch vor dem Hintergrund der gemeinsamen Erklärung von BDA und DGB mit dem Bundespräsidenten in der letzten Woche nicht nachvollziehbar.

    Aktuelle Zahlen zeigen, dass im Verlaufe der Pandemie bis zu einem Viertel der Beschäftigten vollständig ins Homeoffice gewechselt sind, weitere 20 Prozent teilweise. Berücksichtigt man, dass ca. 60 Prozent aller Tätigkeiten nicht im Homeoffice ausgeführt werden können, zeigt sich, dass kein Ausbaupotenzial mehr vorhanden ist.
     
  • § 2 Abs. 5 Mindestfläche für Beschäftigte
    Eine Vorgabe zu Mindestflächen gab es für Betriebsstätten (Ausnahme: Einzelhandel) bislang weder im SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard noch in der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel. Laut Gesetzentwurf orientieren sie sich an den Angaben für Verkaufsflächen pro Person im Groß- und Einzelhandel, die im Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 25. November 2020 festgelegt wurden. Bislang war das Kriterium in den Betrieben ein Mindestabstand von 1,5 m, welcher sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert. Es stellt sich die Frage nach einer wissenschaftlichen Begründung für die zehn Quadratmeter.

    Diese Vorgabe wird weiteren Organisationsaufwand in den Betrieben nach sich ziehen. Zu begrüßen ist, dass Abtrennungen und regelmäßiges Lüften weiterhin als Schutzmaßnahmen benannt werden, sollte die angegebene Mindestfläche von zehn Quadratmetern unterschritten werden. Positiv ist auch, dass diese Bestimmung auf die Arbeitsplätze beschränkt ist und sich insbesondere nicht auf Unterkünfte erstreckt, die vom Arbeitgeber bereitgestellt werden.
     
  • § 2 Abs. 6 Bildung kleiner Arbeitsgruppen
    Das Ziel der Kontaktreduzierung zur Verringerung des Infektionsgeschehens ist nachvollziehbar, allerdings muss berücksichtigt werden, dass das Arbeiten in kleinen Arbeitsgruppen eine enorme Herausforderung für die Betriebe darstellt und, wenn überhaupt, nur durch Mehrarbeit aufgefangen werden kann. Ein zeitversetztes Arbeiten, etwa in zwei statt wie üblich in drei Schichten, kann nur ermöglicht werden, wenn auch hier wie im Frühjahr des vergangenen Jahres durch die Covid-19-Arbeitszeitverordnung wieder Ausnahmen vom Arbeitszeitgesetz ermöglicht werden. Insbesondere bedarf es der vorübergehenden Möglichkeit zur Anhebung der Höchstarbeitszeit, zur Verkürzung der Ruhezeiten und zum erleichterten Einsatz von Beschäftigten an Sonn- und Feiertagen. Mit einer flexiblen Handhabung kann auch eine Entzerrung in den Betrieben erreicht werden, wie sie die Corona-Arbeitsschutzverordnung vorsieht.
     
  • § 3 Mund-Nasen-Schutz
    Der Arbeitgeber muss unter bestimmten Voraussetzungen nun einen medizinischen Mund-Nasen-Schutz, eine FFP2-Maske oder eine vergleichbare Maske den Beschäftigten zur Verfügung stellen. Dies widerspricht der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel, in der Arbeitsschutzexperten explizit die Verwendung von Mund-Nasen-Bedeckungen (Alltagsmasken) als ausreichend beschrieben haben. Nach dem Entwurf würden die Festlegungen der Arbeitsschutzregel aufgekündigt und Alltagsmasken in den Betrieben verboten. Sofern FFP2-Masken verwendet werden, sind zudem Tragezeitbegrenzungen und eine entsprechende arbeitsmedizinische Vorsorge zu berücksichtigen.

    Positiv ist, dass von einer generellen Verpflichtung zur Nutzung von FFP2-Masken abgesehen wird und dass Beschäftigte verpflichtet werden, die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Maske zu tragen. Zudem ist diese nur unter bestimmten Bedingungen zu tragen. Für die Betriebe besteht jedoch weiterhin die Sorge, dass die Verfügbarkeit mittelfristig nicht gesichert ist, wenn nun für alle der weiterhin notwendigerweise im Betrieb arbeitenden Personen täglich mindestens ein medizinischer Mund-Nasen-Schutz zur Verfügung gestellt werden muss.
     
  • § 4 Inkrafttreten, Außerkrafttreten
    Das Inkrafttreten erfolgt fünf Tage nach Verkündung. Dies ist eine sehr kurze Zeit, wenn die Betriebe alle Forderungen umsetzen sollen. Dies umfasst vor allen den sehr kurzen Beschaffungszeitraum für den medizinischen Mund-Nasen-Schutz und die Anpassung der Arbeitsräume, um die Mindestfläche von zehn Quadratmetern sicherzustellen.

Ansprechpartner*innen

Alexander Stöhr

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