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26.03.2021 // Fachkräfte + Märkte

Qualifizierungsverbünde: gemeinsam stark

Angesichts der fortschreitenden Transformation der Arbeitswelt – Stichwort Digitalisierung und E-Mobilität – ist Weiterbildung das Gebot der Stunde. In Baden-Württemberg wurden daher 2019 die Qualifizierungsverbünde ins Leben gerufen. Sie sollen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) unterstützen, die Weiterbildung alleine nicht umsetzen können.

„Vor der Corona-Krise gaben kleine und mittlere Unternehmen aufgrund guter Konjunktur und vollen Auftragsbüchern an, wenig Zeit und Muße für das Thema Qualifizierung zu haben“, erinnert sich Christian Rauch, Leiter der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit (BA). „Gleichzeitig war ihnen durchaus bewusst, dass die stetige Transformation der Arbeitswelt unausweichlich mit einer Veränderung der Berufe verbunden ist. Das lässt sich nur durch Qualifizierung lösen.“

Konkret heißt das: Auf einem sich wandelndem Arbeitsmarkt wird lebenslanges Lernen immer wichtiger. „Die pandemiebedingte Krise hat zwar zu einem unfreiwilligen Arbeitsausfall oder gar Stillstand in den Betrieben geführt“, stellt Christian Rauch fest. „Andererseits können und sollten Unternehmen die Ausfallzeiten dazu nutzen, die erforderlichen Qualifizierungen ihrer Beschäftigten nun auch durchzuführen.“ Wer das nicht alleine leisten könne, finde Unterstützung in unternehmensübergreifenden Qualifizierungsverbünden: In ihnen schließen sich Firmen mit gleichen oder ähnlich gelagerten Weiterbildungsbedarfen zusammen.

Die Qualifizierungsverbünde sind ein Gemeinschaftsprojekt der Regionaldirektion Baden-Württemberg der BA und des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg sowie des Verbands der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V. (Südwestmetall) und des Verbands der Südwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie (Südwesttextil e. V.).

Im Juli 2019 startete eine zweijährige Pilotphase mit dem Aufbau der Verbünde in sechs Regionen im Land: Rhein-Neckar, Ostwürttemberg, Stuttgart, Ulm, Freiburg und Reutlingen. Branchenschwerpunkte sind dabei die Metall- und Elektroindustrie sowie die Textilindustrie. Die im zweijährigen Pilotprojekt anfallenden Kosten von 2,1 Millionen Euro werden zur Hälfte von der Regionaldirektion Baden-Württemberg und zu je einem Viertel vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau sowie den beiden Wirtschaftsverbänden getragen. Verbundmanagerinnen und Verbundmanager des Projektträgers Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft (Biwe-Gruppe) unterstützen in enger Abstimmung mit dem Arbeitgeber-Service der Arbeitsagenturen im Land den Aufbau der Qualifizierungsverbünde und erleichtern Unternehmen und deren Mitarbeitenden den Zugang zur Weiterbildung und Weiterbildungsförderung.

Zehn Qualifizierungsverbünde arbeiten bereits, vier weitere Verbundansätze sind noch in der Findungsphase. Im anschließenden zweijährigen Folgeprojekt – das vom Wirtschaftsministerium weiterhin gefördert wird – soll die Selbstorganisation der Verbünde weiter unterstützt werden; Ziel ist, dass sie sich künftig dauerhaft selbst tragen können.

„Dieses Konzept einer gemeinschaftlichen Qualifizierung hilft insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen“, erläutert Christian Rauch. „Zudem richten sich die Inhalte der Qualifizierungen nach den Bedarfsermittlungen der Unternehmen. Mit anderen Worten: Wenn es keine geeigneten Qualifizierungsangebote gibt, können Maßnahmen entwickelt werden, die speziell auf die individuellen Bedarfe der Arbeitgeber zugeschnitten sind.“

Stimmen aus den Qualifizierungsverbünden

„Mit 53 Beschäftigten und drei Auszubildenden liefern wir Dehnungszonen für Berufs- und Outdoorkleidung an Bekleidungshersteller. Qualifizierung – vor allem in der Textilveredlung – ist für uns ein großes Thema, weil es im Textilbereich nicht viel Fachpersonal auf dem Arbeitsmarkt gibt; wir beschäftigen viele angelernte Kräfte. Für passgerechte Lösungen braucht es aber Know-how in Sachen Faserlehre, Textillehre und Qualitätsmanagement. Daher erarbeiten wir momentan ein Kompetenzmodell: Für jede Qualifizierungsstufe – von der Produktionshilfskraft bis zum Entwickler – werden die erforderlichen Fach-, Methoden- und Sozialkompetenzen definiert. Mit dem Qualifizierungsverbund haben wir bisher sehr positive Erfahrungen gemacht: Der Austausch und Kontakt mit anderen Unternehmen sowie die Möglichkeit, sich bei Entscheidungen rückzuversichern und die strategische Ausrichtung zu besprechen, sind für uns sehr wertvoll. Außerdem bekommen wir einen guten Überblick über Schulungsprogramme und Fördermöglichkeiten.“

„Wir beschäftigten 270 Menschen, darunter 35 Auszubildende, in acht verschiedenen Berufsbildern. Diese umfassen Berufe von der Mechanik und Elektronik über die Logistik bis hin zum technischen Produktdesign, der IT und den kaufmännischen Bereichen. Unsere Maschinen und Anlagen, die beispielsweise auch in der Komponentenfertigung für Elektrobusse oder Elektro-LKW eingesetzt werden, sind kundenspezifische Lösungen auf höchstem technischem Niveau. Daher ist die Personalentwicklung, hohe fachliche Qualifikation und Weiterbildung unserer Beschäftigten für uns unerlässlich, etwa wenn es um die Steuerungstechnik geht. Im Qualifizierungsverbund sehen wir uns als Mitgestalter, gleichzeitig sind für uns die Bündelung verwandter Interessen und der Erfahrungsaustausch überaus wichtig. Wir wünschen uns ein noch passgenaueres Weiterbildungsangebot auf Expertenniveau und würden eine entsprechende Qualifizierungsförderung begrüßen. Diesen Wunsch zu erfüllen, liegt jedoch nicht im Einflussbereich des Qualifizierungsverbundes; unsere Erfahrungen im Qualifizierungsverbund sind durchweg positiv.“

„Unsere 650 Beschäftigten arbeiten überwiegend als Textillaborantinnen und -laboranten und chemisch-technische Assistenzen, außerdem in der IT, im Büromanagement und in der Sachbearbeitung; dazu kommen derzeit zwölf Auszubildende. Qualifizierungsbedarf sehen wir vor allem bei den Textillaboranten: Dieser Beruf verlangt sowohl textiles Know-how als auch Sachbearbeitungskenntnisse. Studienabgänger mit spezifisch textilen Fachkenntnissen suchen oftmals die Herausforderung in der Forschung und Entwicklung, daher planen wir, eher Bürokaufleute einzustellen und sie im textilen Bereich weiterzubilden. Ziel ist, die Personalentwicklung im Institut zu qualifizieren und zu strukturieren. Im Qualifizierungsverbund finden wir Partner mit ähnlichen Interessen: Wie fördern wir den Nachwuchs? Wie halten wir Beschäftigte mit Qualifizierungsmaßnahmen im Unternehmen? Aufgrund der Corona-Schutzverordnungen lief die Zusammenarbeit 2019 eher schleppend an, vor allem aus technischen Gründen. Nun hat sich der Austausch aber eingespielt, und wir werden dabeibleiben.“

Die Botschaften der Projektpartner

„Die berufliche Weiterbildung ist essentiell für die Zukunftsfähigkeit unserer Betriebe. Allerdings ist Weiterbildung kein Selbstläufer, und vor allem kleine und mittlere Betriebe tun sich damit schwer. Sie brauchen Unterstützung und dabei müssen wir auch neue Wege gehen. Mit unseren Qualifizierungsverbünden wurde erstmals in Deutschland ein Modell entwickelt, mit dem gleichgelagerte Weiterbildungsmaßnahmen im Verbund mehrerer Betriebe auf den Weg gebracht werden – nach dem Motto: gemeinsam geht es besser. Damit stärken wir die Weiterbildungsbeteiligung und deshalb fördern wir über die aktuelle Laufzeit hinaus auch die zweite Phase des Projekts bis 2023. Ich bin mir sicher, dieses Geld ist gut investiert.“

„Neben den ersten gemeinsamen Qualifizierungsmaßnahmen, zu denen sich einige unserer Mitglieder zusammengeschlossen haben, realisieren die Unternehmen vor allem die Notwendigkeit einer ‚strategischen‘ Personalplanung. Die KMU unserer Industrie erfahren durch die kompetente Unterstützung der Qualifizierungsmanagerinnen einen enormen Mehrwert, denn qualifizierte Fachkräfte sind für sie einer der wichtigsten Faktoren in Zeiten von Digitalisierung und Innovationsdruck. Die Pandemie verstärkt diese Trends und den Bedarf an Fachkräften nur noch mehr. Deshalb werden Südwesttextil und die baden-württembergische Textilindustrie intensiv beim zweijährigen Folgeprojekt mitarbeiten.“

„So ist bereits klar zu erkennen, dass die Verbünde einen Innovationsmotor zur Entwicklung bedarfsgerechter und skalierbarer Weiterbildungsinhalte und -formate für den industriellen Mittelstand darstellen können. Dabei ist die Idee auf weitere Branchen übertragbar und zukünftig eine Verknüpfung von Branchen denkbar und erwünscht, damit es gelingt, aus einem Qualifizierungsverbund eine regionale Qualifizierungs- und Beschäftigungsdrehscheibe zu formen. Das kann ein wichtiger Faktor für die Gestaltung des Strukturwandels werden, gerade auch für die Metall- und Elektroindustrie.“

Mehr Informationen finden Sie hier.

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