Profil
©Stickerei Keinath
19.02.2021 // Kommunikation + Event

Vom Sticken, Legen und Tüfteln

Die Stickerei Keinath mit Sitz in Albstadt-Tailfingen ist jetzt auch Mitglied bei Südwesttextil.

Was würden Sie sagen, wenn Ihnen jemand anbietet, die Leitung einer Stickerei auf der Schwäbischen Alb zu übernehmen? Thomas Kniesel hat diese Frage 2018 mit einem fröhlichen „Na klar!“, beantwortet und führt seitdem die 1978 gegründete Stickerei Keinath. Im Wandel der Zeit hat sich das ehemals in der klassischen Stickerei verortete Unternehmen auf die Direktstickungen von Fußmatten und Textiletiketten für die Automobilindustrie spezialisiert.

Mitglied

Entwicklung neuer Geschäftsfelder

Diese Tradition in der klassischen Stickerei wollte der Betriebswirt bei seiner Ankunft auf jeden Fall wahren – gleichzeitig stand für ihn jedoch von Anfang an fest, das Unternehmen breiter aufzustellen, um in Zukunft nicht gänzlich von der Automobilindustrie abhängig zu sein. Deswegen folgte auf den Inhaberwechsel eine Mehrteilung und Neuausrichtung der Stickerei: die traditionellen Geschäftsfelder bleiben erhalten und werden kontinuierlich über die Veredlung ausgebaut, beispielsweise mit 3D-Etiketten, Digitaltransfers und dem klassischen Sticken. Darüber hinaus werden neue Türen geöffnet für technische Stickereien, mit Anwendungen im Bereich der Smart Textiles, im Leichtbau oder der Leder- und Möbelindustrie.

Dafür investierte das Unternehmen in eine neue Stickmaschine für Ledersticken und Steppungen und parallel dazu auch in eine technische Stickmaschine, mit der Carbon-, Glas- oder Basaltfasern gelegt werden können. Mit der Einstellung einer Maschinenbauingenieurin und dem Kontakt zu Hochschulen entstanden die ersten Smart Textiles und gelegten Bauteile. Dabei hat das Legen der Bauteile aus Fasern, also das Fixieren von Fasern durch Sticken, einen großen Vorteil gegenüber herkömmlichen Materialien: durch diese Technologie kann zielgerichtet verstärkt und Ressourcen punktgenau, effizient und damit schonender eingesetzt werden. Im Anschluss wird klassisch mit Harz oder Lack vergossen. Durch die Vielfalt an Fasern sind die Anwendungsmöglichkeiten sehr groß. 

Tüfteln & ein langer Atem

Die Annäherung an dieses neue Geschäftsfeld geschah ganz im Sinne des schwäbischen Tüftlergeist. Nachdem mit tatkräftiger Unterstützung und Teamarbeit die ersten Bauteile gelegt und vergossen waren, entstand in Zusammenarbeit mit dem Maschinenhersteller der erste Ansatz für Smart Textiles. Die Idee LEDs wie Pailetten zu verlegen, faszinierte die Sticker aus Albstadt und sie beschlossen, Smarte Textilien und Leichtbau zu kombinieren. Langfristig sollen so Bauteile entstehen, die intelligent und interaktiv mit ihren Anwendern interagieren können, indem sie beispielsweise leuchten oder akustische Signale geben können. Mithilfe von Tipps und Tricks wird täglich weiterentwickelt und getüftelt, da werden auch mal die ersten Stickversuche mit Zahnstochern gemacht, um die Maschine nicht kaputt zu machen. Auch werden Legefüße selbst im 3D-Drucker hergestellt, denn für die Anwendungen gibt es noch keine Produkte.

Während zu erkennen ist, dass sich die neue Technologie im Bereich Smart Textiles bewährt, braucht es im Bereich Leichtbau einen längeren Atem als ursprünglich erhofft. Die Überzeugungsarbeit, dass Textil letztendlich genau das gleiche „hält“, was andere Materialien versprechen, nur eben leichter und effizienter, ist im persönlichen Gespräch einfacher. Dieser Kontakt fehlt in Zeiten der Pandemie. Um die technischen Verantwortlichen zu überzeugen, braucht es zudem auch hier Investitionen des Unternehmens in Versuchsreihen und Beweise, die das Vertrauen in die Technik stärken.

Vielfalt des Stickens

Während bei den rund 30 Industriemaschinen mit fünfzehn Köpfen vor allem die Bedienung der Maschine gefragt ist, besitzt die Stickerei inzwischen auch wieder kleinere Maschinen mit vier, sechs oder auch nur einem Kopf. Diese sind nicht nur für die Ausbildung des Fachkräftenachwuchses nützlich, sondern könnten in Zukunft auch wieder neue Geschäftsfelder eröffnen. Denn den Trend zur Individualisierung von Kleidungsstücken beobachten die Spezialisten aus Albstadt-Tailfingen ebenfalls sehr genau. Hier liegt das Potenzial für die wenigen agilen und schnellen Sticker, die noch logistisch klug und mit hoher Automation dazu in der Lage sind, innerhalb von zwei oder drei Tagen ein individuell besticktes oder bedrucktes Kleidungsstück zu liefern. Deshalb plant die Stickerei Keinath in diesem Bereich in einen Webshop zu investieren – sieht aber vor allem den Bedarf an kreativen Sticktalenten, die es nur noch vereinzelt gibt. Solche individuellen Modestickereien hätten fast schon etwas spirituelles, meint Thomas Kniesel, denn neben einer großen Kreativität wäre vor allem Präzision gefragt. Mit einem Stickbild sei es ähnlich wie bei einem Gemälde – man könne nur einmal ansetzen.

Aber auch in den klassischen Geschäftsfeldern entwickelt sich der Betrieb weiter: In der Veredlung bietet das Unternehmen mit der neuen, patentierten „3D-Transfer“-Technologie die Möglichkeit, dreidimensional und texturiert Motive auf das Material aufzubringen. Dabei können verschiedenste Farben und selbst filigrane Haptiken dargestellt werden und das Endprodukt ist trotzdem bei mindestens 60 Grad waschbar. Auch ein bügelbarer Digitaltransfer wird inzwischen angeboten. 

Die Faszination der Stickerei

Wenn Thomas Kniesel auf die letzten beiden Jahre zurückschaut, dann ist er schon ein kleines bisschen Stolz darauf, sich so schnell in die Materie eingearbeitet zu haben. Sein großes Ziel sei immer gewesen, sich in das Team zu integrieren, denn Sticken, das sei auf keinen Fall als Einzelarbeit möglich, berichtet er. Er selbst sieht sich als Moderator des Wandels. Das macht für ihn die Faszination aus, die er schon von Anfang an für den Betrieb empfunden hat.

Sticken, das bedeutet weit mehr als eine Maschine zu bedienen. Unterschiedliche Nadeln und Garne, der Einfluss von Ober- und Unterfaden, Spannungen und Einstellungen – das erfordert Know-how und Erfahrung, egal ob ein Etikett, ein Bekleidungsstück, ein smartes Textil oder ein Bauteil bestickt wird. Aus jahrzehntelangen Erfahrungen mithilfe neuer Technologien und der Digitalisierung zukunftsfähige und smarte Produkte zu entwickeln, das ist das große Ziel des Unternehmens.

Um das Know-how zu erhalten, setzt Thomas Kniesel darauf, junge Menschen durch eine kaufmännische oder technische Ausbildung im Betrieb für die Stickerei zu begeistern. Hierbei möchte er kreative Talente fördern, die Spaß an individuellen Umsetzungen zu haben sowie technikaffinem Nachwuchs Lust auf das Tüfteln zu machen. Die braucht man, um am Legen der Bauteile mit unterschiedlichen Legedichten und Faserstärken zu experimentieren.  Dabei zeichnet die Kombination aus Theorie- und Praxiswissen den Beruf nach wie vor aus, eigene Entwürfe in Programme zu übertragen und selbstständig umzusetzen.

Auch interessant ...

Logo SüdwesttextilDieser Browser wird leider nicht unterstützt.

Bitte verwenden Sie einen alternativen Browser oder aktualisieren Sie die bestehende Software.

> ECMAScript 6 required